Zurück ins Zurück? – Update Corona: Wenn die Mitmenschlichkeit erst wieder vergessen ist.

Derzeit erleben wir fast grenzenloses Engagement: Menschen helfen begeistert anderen Menschen. Verbindend ist der gemeinsame Feind namens Corona. Alle stehen näher beieinander. Alle wollen sich ein bisschen näher in dieser Krise sein, auch wenn man gerade mal den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einhalten muss. Wir sind ja scheinbar schon dem Paradiese nahe, wenn selbst Zeitungs- und Werbeausträger von Häuslebesitzern nicht mehr angepöbelt werden, sondern mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt werden. Die Krise scheint uns empathischer, scheint uns zugänglicher für Mitmenschlichkeit zu machen: Junge helfen Alten, Starke schützen Schwache. Ein übles Virus scheint das Gute aus der Menschheit herauszukehren.

Doch leider ist zu befürchten, dass es ein Zurück ins Zurück geben wird. Alte Menschen werden in den überfüllten Pflegeheimen wieder vergessen, die Schwachen unserer Gesellschaft wieder von einer gnadenlosen Stress- und Leistungsgesellschaft in die dunkle Schmollecke gedrängt, damit sie bloß keiner sieht. Denn der gemeinsame Feind wird fort sein. Denn das gemeinsame Ziel, dem Virus die Stirn zu bieten, ist erledigt. Und wenn alles erledigt ist, macht man einen Haken dran und macht dort weiter, wo man zuvor aufgehört hat.

Muss das so sein? Muss es zwangsläufig ein Zurück ins Zurück geben? Oder gibt es die Möglichkeit, dass durch Corona etwas angestoßen worden ist? Ein einfaches Zurück in ein ruhiges, behagliches Zurück, so wie wir es kannten, wird es wohl nicht geben. Wenn aus Zukunft nur Angst wird, weil man neuen Ideen lieber keinen Raum lässt, da man mit der Rekonstruktion des Alten scheinbar auf Nummer sicher geht, so wird es sicher ein Zurück ins Zurück sein. Wieso also nicht die Chance nutzen, um etwas Grundlegendes in dieser Menschheit zu ändern und Dinge beizubehalten, die wir zurzeit gewonnen haben. Die Vergangenheit, so wie wir sie liebten, wird es ohnehin so nicht mehr geben.

DagroLe 3.4.2020

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Zeiten, die mehr als anders sind

(ein Kommentar zur Coronakrise)

Sonst hat man mal wieder eine kleine Katastrophenmeldung – ein Wald brennt, ein Unfall auf der Autobahn. Manchmal gibs schon was Ernsteres – das Klima streikt, ein neuer Terroranschlag in sonst irgendwo. Doch all diese Nachrichten fliegen einem in der Regel quer über die Augen, huschen kurz durch unseren Kopf und werden dann dort in der Schachtel mit der Aufschrift „Kennen wir schon“ abgelagert. Über die Jahre hat sich eine ungewollte Abgestumpftheit gegenüber den Nachrichten dieser Welt entwickelt. Es ist einfach zu viel, es ist einfach zu krass – das, was da passiert. Wie kann man das noch auffassen? Verstehen? – irgendwann findet das Auffassungsvermögen auch seine Grenzen. Deshalb sagen wir uns: „Abschalten und Tee trinken“ oder wenn mans nicht mehr ertragen kann eben Wein oder Bier.

Diese Zeiten nun sind ganz anders. Es fühlt sich allein schon anders an – ungewohnt, beunruhigend, aber teilweise auch aufregend neu. Es ist ein Spagat zwischen Widersprüchlichem – das gewohnte Gefühl ist allemal hin. Auf einmal steht man als Mensch, als Gemeinschaft, als Volk, als Menschheit wieder etwas näher zusammen – traurig nur, dass das nur passiert, wenn es um einen gemeinsamen Feind geht. Es mag grotesk klingen, aber es fühlt sich irgendwie gerade wie Weihnachten an und am Ende doch gar nicht, weil diese Situation keine Freude verheißt. An Weihnachten erinnert uns das auf einmal vorhandene Zusammenhalten und Zuversicht geben, was sonst über das ganze Jahr getrost egal sein kann und beiseite geschuppst wird. Und doch sind diese Zeiten mehr als in Gegensätze verkehrt. Man kann es teilweise nur schwer beschreiben, was derzeit unser Leben im Besonderen bestimmt:

Sind es die Ängste?

Ist es die Zuversicht?

Sind es bedrohliche Befürchtungen?

Oder gibt einem das Gefühl von Gemeinsamkeit gerade die notwendige Stärke?

Es bleibt ungewohnt, es bleibt verrückt – denn wer hätte sich das vor zwei Monaten schon vorstellen können? Und in einem solchen rasanten Tempo …

Es zeugt auch von der Machtlosigkeit der Menschheit gewissen Kräften gegenüber. Nun dürfen wir nachdenken und entscheiden: Wie wollen wir weiterleben? Was lässt sich ändern? Und: Sind wir überhaupt dazu bereit, darüber nachzudenken, ob wir etwas ändern sollten?

Wird es ein „Weiter-so“ werden oder entscheiden wir uns vielleicht für einen nicht einfacheren, aber dafür zukünftigeren Weg?

Jetzt: Sind wir da selbst und ist das Wir.

DagroLe 25.3.2020

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Ein Einkauf sagt alles?

(Eine Momentaufnahme aus dem Alltag)

Ist das alles? Alles, was du dir heute gönnst? Von gönnen kann wohl nicht die Rede sein, wenn Rester am Monatsende das Leben bestimmen. Nur das nicht Monatsende ist – noch lange nicht. Alter Mann – mit abgelebten Klamotten: trüb – giftig – dunkelgrün. Riecht bis um die Ecke rum.

Sagt dein Einkauf alles über dich? Und selbst hat man wieder nur: Mitleid. Dieses große Wort. Was bedeutets schon in Anbetracht der Masse: Haufen alter Männer, die ,so wie er, hier herumlaufen. Für mich ists so einfach, aus meiner Position heraus: wohl lebend, gesättigt. Wir leben so zufrieden und sind doch nicht zufrieden – und dann seh ich dich, alten Mann und frag mich selbst: Hast du noch alle Latten am Zaun? Da ist ein Mensch und du schaust nur hin. Hast Mitleid – höchstens das. Doch Mut hast du nicht.

Sagt dein Einkauf alles über dich? Mut hast du nicht. Mut aufzubringen, dich zu einem kleinen Gespräch aufzuringen. Eine kurze Unterhaltung, die für diesen Menschen heut an diesem Tag alles bedeuten könnte. Stattdessen: Schaust immer nur wieder zu ihm hin, weil du es nicht fassen kannst. Weils dir grad in deinen Kram nicht passt. Und nur wieder dein dummes Mitleid – eine Blamage für ihn und für dich zugleich. Eine Ohrfeige für euch beide. Mut hast du nicht, auf einen Menschen zuzugehen. Überlegst kurz – alle Möglichkeiten der Mitmenschlichkeit, nur um sie dann wieder zu verwerfen.

Sagt dein Einkauf alles über dich? Gebannt starrst du immer wieder auf das Warenband. Siehst immer wieder das gleiche – musst es immer wieder für dich bestätigen. Hast dabei Bilder im Kopf und natürlich Klischees: Wer ist wohl dieser Mann? – SO und nicht anders ist dieser Mann! Wie lebt wohl dieser Mann? – SO und GENAUSO lebt dieser Mann. Und dabei wirklich auch noch, als müsste er dir dankbar sein, dass du ihm eine Kürze deines Mitleids schenkst, ihn bedauerst – ich … dir, alten Mann, ein Fünkchen meiner Aufmerksamkeit schenke. Doch Würde ist das nicht. Einen Menschen würdigen, bedeutet, ihn kennenlernen zu wollen.

Sagt dein Einkauf alles über dich? Ein Packen Birnen, ein Glas Schnaps Pfefferminz, ein dutzend eingepappte Würstchen und ne Flasche Jägerlikör dazu. Das bist du jetzt! Alter Mann. Und gebrechlich noch dazu. Was wöllte ich noch von dir? Was wöllt ich noch erfahren? Hab ich doch schon alles  längst: Ich kenne dein Aussehen. Ich sehe, was du kaufst und ich rieche dich bis um die Ecke. Reicht das nicht? Reicht das nicht für diesen Tag? Traue ich mir morgen vielleicht mehr zu? Ich glaube nicht.

Doch mein Gefühl belügt mich nicht, wenn ich mit einem Unwohlsein zum Auto laufe und dich, alter Mann, scheinbar gekonnt hinter mir lasse.

DagroLe

4. 5. 2019

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Farben

(ein Gedicht zum Brand von Notre Dame)

Farben

Lichternes Inferno

Rauchsäulen hoch brennend über der Stadt

Außer Kontrolle scheint wieder unsere Welt

Zufall oder Sein?

Zufälle oder nicht?

Egal …

Denn Angst ist trotzdem da

Wieder die Angst, die in einem ist

Verbrennt ein Symbol

in purem Rot

Verbrennt eine Sicherheit

Wieder und wieder

Zufall oder nicht?

Egal …

Wieder ein Anschlag auf unsere Herzen.

Farben

Farben, so wie wir sie nie gewollt haben

Farben, so wie wir sie nie gesehen haben

Farben

Farben

… und der Alltag geht weiter …

 

DagroLe 16.4.2019

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Hier wohnt das Ömchen

(Lyrisch-Amüsantes aus dem Lande Brandenburg)

 Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

Ein kleines, feines ruß-schönes Haus. Mag jemand dort wohnen? Ja, die Omen. Ruß-schwarzes Häuschen in der Lindenstraß. Gibt so viele Lindenstraßen hier auf dem Land. Fast schon ermüdend. Aber diese hier wird zu etwas ganz Besonderem – durch Besuch bei „Ömchen“.

Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

Eingeladen ist jeder, zum Kaffeetrinken nach Vier. „Ömchen“ schlägt Sahne. Gibt Bienenstich und der Helmut trinkt Bier. Volle Bude. Da freut sich das Ömchen immer, wenn das Stübchen gerammelt voll. Von draußen schauen die Leut hinein ins volle Leben – Wundern sich: Hier? Auf dem Land? Nicht schon alles abgebrannt?

Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

Doch nach Fünf geht’s erst so richtig los. Da gibs das erste Winken und den ersten Prost. Und dann geht’s recht munter zur Sache, wenn 20 Leut in der kleinen Bude schwatzen, schmatzen und beherzte Lieder singen – Mundart, Schlager und was die Charts so bringen. Party bei „Ömchen“ ist weit bekannt.

Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

Korken knallen. Die Scheiben?  – Lass zittern! Voller Freude schallts durch die winzig kleine Stube. Der Ofen ist heiß, der Kuchen ist alle. Wiener und Schnitzel bereit. Auf dass allen der Abend gefalle. Das „Ömchen“ strahlt, weils allen so schmeckt. Lässt blank die Zähne lachen und freut in sich hinein.

Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

Die Gläser erhoben zum großen Prost. Heut ist feiern angesagt. Heute braucht keiner nen Trost. Das wackelig-schwarzruße Häuschen und die alte Dame „Ömchen“ dazu, werden heut hundert Jahr. Nun geht die Feier bis auf die Lindensstraß – keiner kommt heut mehr zur Ruh.

Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

„Ömchen“ – „Du wirst heut hundert Jahr.“ Die Gläser erheben sich. „Lasst trinken! Lasst drehen! Lasst Kreise sehen!“ – „Ömchen!“ – „Das Beste bist du, was in dieser Straße gibt. „Ömchen!“ – „Sind all in deine Seele verliebt.“

Wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Verschroben, zerstoben – zerfällt ja bald.

Und gar nicht wackelig, backelig – schrunzlig, alt.

Nein! „Wunderbar dieser Abend mit dir.“

Verschroben, zerstoben – „Lass unser Glück bitt nie vergehen!“

 

DagroLe 20.3.2019

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Nahtoderfahrung

(Lyrisch- Amüsantes)

Hat sich der alte Hexenmeister doch nun einmal wegbegeben. Und nun sollen seine Geister … Äh … aber … aber … der blöde Hexenmeister hat sich doch gar nicht fort begeben, sondern ist gerade erst eingetreten – dieses Arschloch.

Erst gießt er mit seiner Folterkelle das Wasser behänd auf die heiße Stelle. Zischen – Rauschen – Dampfen – Saunadüfte: Zwischen Holunderblüte und muffigen Schweiß. „Doch noch nicht stöhnen“, ermahnt uns der Meister: „Jetzt wird’s erst richtig heiß.“

Na gut! Noch geht’s. Hat er ja Recht. Entspannung pur: Zieht man den heißen Dampf voll Verlangen ein. Alle Last der Welt fällt ab: Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein. Wässrige Perlen rinnen an den Körpern. Es ist manchmal wirklich wie Himmel … bevor … bevors zur Hölle wird. Du verdammter Folterknecht.

Denn jetzt kennst kein Erbarmen. Rümpfen sich die Körper, stöhnen die Leiber. Die Sauna brennt vor Hitze, verklungen all die voreilgen Witze. Und der Zaubermeister mit seiner Macht, zeigt uns seine volle Pracht: „Das ist erst der Beginn unseres Schauspiels“.

Und die Schwitzenden nur noch gekrümmt. Die Schädel brennen. So muss es wohl in der Hölle sein. Hast uns in die Hölle geführt, du hinterhältiger Zauberer. Willst uns foltern, willst uns siechen. Sollen vor dir wohl zu Boden kriechen?

Ich kann nicht mehr – will nur noch Ende. Bitte lieber Meister! Ich heb flehend die Hände.

Und der Meister hat ein Erbarmen.

 

Die Sauna leert sich.

Ausgetrocknete Mumien verlassen sie.

Und ich, Meister, frag noch dich:

„Dein Name ist Teufel. Aber wie der Vorname?“

 

DagroLe 13.3.2019

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Der schwarze Teufel

(Lyrisch-Amüsantes)

Schon drei Tassen intus – so sitzt unsere Gertrud am Tische herum. Bekomm ich schon Hallos? Vielleicht des schwarzen Teufels wegen:

„Schwarzer Teufel komm mir …

Mach mich im Hier und Jetzt zum Tier …

Und wenn ich nach Ende flehe …

Nein! Lass mich in dein Reich aufgehe!“

Der schwarze Teufel, der hat wahrlich Macht. Schwarzer Teufel oder auch schwarzer Kaffee genannt. Manchmal übertreibs die Gertrud mit ihrem Gebräu: Musst ihr Mann sie schon mal vom Boden wischen. Hat das ganze Zaubergetränk wieder ausgespuckt. Doch wie soll man durch die ganzen Tage kommen, ohne den richtigen Freund und Helfer?

„Schwarzer Teufel, so genannt …

Schenkst mir Energie und Kraft ein jeden Tag …

Jeden Tag mich dein Zauber bannt …

Kein Wunder das dich Meister jeder mag …“

„Gertrud! Dein Bluthochdruck ist schon schlimm genug. Muss das jetzt noch sein?“ – Gertruds Mann Walter macht sich nun tierisch Sorgen. Was soll man denn machen mit so einer Hexe, die es nicht lassen kann mit der Hexerei? Sind es drei oder sinds schon vier? … fünf Tassen sinds sicherlich schon. Mal abwarten, was der Tag noch bringt.

„Schwarzes Gebräu gießt sich die Kehle …

Ich befolg all deine Befehle …

Mein Gebieter! Ich folge dir …

Du unendlich fruchtbar Lebenselexier…“

Und Gertrud liegt nun schon wieder da. Sie wollts nicht haben wahr. Ihr Bluthochdruck schnürt ihr die Kehle. Nun befolgt sie all deine Befehle! – Schwarzer Teufel: Du hast Macht. Auf dem Boden liegt die ausgebrochene Pracht. Und wenn du deine Dienerin willst erhalten, so lass sie noch ein wenig leben. Musst nicht gleich über Leben und Tode walten – kannst dir doch für später aufheben.

„Gertrud? Gertrud? Ach, meine Liebe! Du bist zum Glück wieder bei mir. Bist wieder wach. Erhol dich erstmal. Setz dich! Willst … willst zur Beruhigung ne Tasse …?“

DagroLe 11.3.2019

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Die Sippenhaft

(ein Kommentar zu die Vorfällen in Chemnitz)

Bin ich schon irgendwer oder irgendwas, nur weil ich Sachse bin? Werde ich gleich in irgendeine Schublade gesteckt, nur weil ich Sachse bin? – NEIN. Das könnte doch niemals sein. Ich stelle trotzdem die vage Vermutung an, dass es heutzutage immer noch so etwas wie eine Sippenhaft gibt. Doch für was, frage ich euch? Dafür etwa, dass es überall in diesem Deutschland Idioten gibt? Es heißt, Sachsen habe wieder ein Problem. Große Katastrophe – big problem. Und ein ganzer Landstrich wird wieder in Geiselhaft genommen, von allen Seiten beschossen, durchlöchert mit Kritik und feigen Worten. Und sicherlich gibt es genug Idioten auch in diesem Land, doch ich glaube nicht, dass es dort nur Idioten geben kann, sonst wärs nur Wüste.

Wenn heute wieder in diesem Zusammenhang von „Zusammenrottungen“ gesprochen wird, dann finde ich das ganz toll. Denn das hatten wir alles schon mal – diesen Chargon hatten wir doch schon mal. Und was hat man mit den Zusammenrottungen gemacht bzw. wer? Ja. Die wurden dann ordentlich zusammengeschoben und von einer Polizei runter gedrückt. Vierzig Jahre runter gedrückt. Bin ich etwa Alle? Wie kann das sein, dass ich ein Alle bin? Das geht nicht. Ich bin ein einzelnes Individuum, mit eigenem Herz und Verstand. Ich kann nicht für eine ganze Masse Menschen oder gar noch für einen scheinbar allzu leicht abgrenzbaren Landstrich stehen. Ich kann nicht gleich Masse Sachsen sein.

Die Behauptung der Sippenhaft ist idiotisch. Und doch wird sie wieder und wieder verbrochen. Dabei stellen sich die Verantwortlichen leider selbst so idiotisch und dumm an, dass es auch noch dem dümmsten Idioten auffällt. Wie kann man noch Öl ins Feuer gießen, wenn es allzu deutlich wird, dass es schon fast am überkochen ist. „Zusammenrottungen“ – dieses Wort ist eine Gemeinheit, nicht etwa, weil ich mich mit Idioten und Ausländerhass sympathisieren würde, sondern weil ich mich selbst angesprochen fühle, wenn ein ganzer Landstrich, ganz Sachsen wieder in Sippenhaft genommen wird. Das schmerzt, weil ich mich selbst immer für Vielfalt und Offenheit eingesetzt habe.

Man ist halt einfach nur wieder Sachse und wenn man Glück hat, ist man vielleicht noch Ossi. Gibt ja auch genug Möglichkeiten das Wort „Ossi“ charmanter, aber genauso treffsicher zu umschreiben. Glück hat man, wenn einem noch zwei Eigenschaften zugewiesen werden. Das zeugt leider von der Beschränktheit der Personen, die es verkünden. Immer und immer wieder wird Differenziertheit verlangt. Doch jene, die es verlangen, schlagen mit den gleichen unfairen Waffen, wie jene, die Kritik zu Recht auch trifft. Ich kanns nur sagen, wie es ist, denn es ist eine Unmöglichkeit: Ich kann nicht für eine Masse Menschen stehen, denn ich habe eine eigene Seele. Und es gibt keine Massenseele, die nur eine einheitlich, schnöde, böse Sache denkt.

Ihr verlangt doch immer Differenziertheit und Objektivität – dann tuts doch bitte selber auch! Ich jedenfalls fühle mich gut. Meine Seele fühlt sich gut an. Sie wird erst verletzt und geschunden, wenn unüberlegte Verlautbarungen um sich geschossen werden und ein ganzes Land wieder an den Dorfpranger der Nation gekettet wird.

DagroLe 29.8.2018

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Auf leeren Straßen

Meine Gedanken sind gerade irgendwo ganz anders – irgendwo im Nirgendwo. Ich weiß gerade weder ein noch aus. Und zwischendurch die Rufe, Zwischenrufe, Jubel, Schreie, Jubelschreie, aber noch voller Erwartung.

Die Straßen sind wie leer gefegt. Wo sind die ganzen Menschen hin? – das muss wohl Deutschland zur Zeit der WM sein. Das ist Deutschland: Du triffst keinen Menschen mehr. Und jene, die du triffst sind im Taumel, sind hin und her gerissen und hasten schnell noch schnurstracks in ne Richtung.

Ich fahre hier noch so daher. Ich denke an das Bevorstehende, die großen Erwartungen in meinem Leben, hin und wieder an die Mannschaft – das geht halt alles überein: Der eigene Stress und der Stress, welcher auf dieser Mannschaft liegt.

Schnell und schneller müsste ich zu Hause sein, um das Spiel zu sehen. Läuft schon. Läuft sicher schon seit fünf Minuten, zehn Minuten. Ach egal! Ich zerbreche mir grad den Kopf über gestern, heute, vorgestern. Was war denn das nochmal fürn Scheiß? Musste das sein? Und außerdem … ob sie heute gewinnen? Ob die das heute mal gefälligst rausholen, was die am vergangenen Wochenende verpatzt ham? Kann ich das wieder rausholen, was ich diese Woche verpatzt hab?

Erwartungen. Die Erwartungshaltung ist immer da – gerade verfliegen sie wie im Wind im flotten Strampeln des Fahrrads – meines. Zwischendrin immer mal Rufe, Lauten und Trompeten – das Spiel hat längst begonnen. Ich fahre entspannt. Keine Hektik! Heute bloß nicht mit Hektik spielen, Jungs! Sonst wird’s wieder so ne Blamage wie letztes Mal. Ich will auch keine Blamage.

Die Straßen sind sonst ganz leer – leer gefegt. Nicht mal im entferntesten ein heißer Feger unterwegs. Rufe, Zwischenrufe, Jubel und doch mal Freudenschreie eines heißen Fegers. Da muss wohl ein Tor gefallen sein. Für wen? Keine Ahnung. Die Gedanken verschwimmen auf der Freiheit des Rades. Kein Stress mehr. Keine Panik. Keine Hektik! Dann schießt ihr das Tor.

Deutschland zur WM – die Straßen sind verstorben. Ich bin frei – fühle mich so richtig frei. Irgendwas ist heute doch passiert. Ich kanns nicht ganz beschreiben. Könnt ihrs mir sagen? Wars das Spiel? Wars der Sieg? Oder trödel ich grad einfach nur wieder zu sehr in einem Wirrwarr aus Kopfkino umher?

DagroLe 23.6.2018

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Schöne Fassaden (Teil 1)

Leben in der Lepzeberger

Es ist so warm wie in einer Sommernacht, dabei müsste es doch winterlich sein. Die Fassaden wurden schön gemacht über die vielen letzten Jahre. Mal ist ein Haus blau, mal ist es grün, mal auch rot – eben richtige Farbtupfer hier in der Lepzeberger Straße. Schaut man sich die alten Prunk- und Stuckfassaden jedoch genauer an, so wird man auch ihre Augen entdecken und ihre Brillengläser – die Fensterscheiben – die sind wie Augen und Brillen der Häuser. Diese Brillengläser hat schon lange niemand mehr sauber gemacht. Die Fenster der reichen Gründerzeithäuser weinen vor Dreck. „Uns hat schon lange niemand mehr sauber gemacht“, sagen sie uns – Nein! Sie schreien es sogar. Und dennoch: Niemand bemitleidet sie. Sie sind und bleiben Dreck, genauso wie der Dreck, welcher hinter ihren schmutzverschmierten Glase wohnt. Dreck, für den sich niemand mehr interessiert, der vor sich hin mieft, Dreck, der einmal Mensch war und zu irgendwas verkommen ist. Und dafür kann er meist nicht mal was. Unverschuldet, aber auch selbst verschuldet. In vielen Fällen zumindest hoch verschuldet.

Die Lepzeberger Straße hat ein dickes Problem. Sie hat auf dicke Hose gemacht – schon früher. Früher wurden diese Prachtbauten der Gründerzeit gebaut und waren jedoch nichts weiter als Mietskasernen der armen Leute. Und dann im großen Rausch des neuen Landes sollte die Straße wiederum zur Prachtstraße, zur Schlossallee werden. Das waren große Pläne vor nun bald 30 Jahren. Ja. Die Bauten sind richtig nobel, schnieke und fein geworden. Auch die Straße wurde auf Vordermann gebracht, augenscheinlich von mittelalterlichen Zuständen mit Pflasterstein und Bodenwellen in die asphaltierte Neuzeit verwandelt. Doch was bringt das alles, wenn dann die Fenster nicht geputzt werden? Das ist das Problem der Lepzeberger Straße. Die dreckigen Fenster? Nein, eben nicht. Sondern: Sie wollte und will immer noch auf dicke Hose machen. Dabei kann sie selbst sich nicht heraussuchen, wer in ihr lebt.

Hier wohnen Bauken und Halunken, Rüpel und die Frau von nebenan, die man lieber nicht neben sich wohnen hätte. Das sind Wilde und Blinde, blind für die Welt. Sind sie doch eingesperrt in ihren vier Wänden, kommen mal raus, um sich was zu Fressen im Aldi zu besorgen, wenns heute nicht grad doch der Netto ist.

Und die Fenster putzt da niemand. Die putzt dann halt niemand – fehlt irgendwie, kommt man aber auch nicht drauf, wenn die Welt aus Fressen, Schlaf, Saufen, Party besteht. Und keiner will was damit zu tun haben. „Hey! Ihr da in der Lepzeberger. Ihr seid Halunken. Ihr macht den Ruf unserer Stadt zunichte. „Aber was könn sie schon dafür? Irgendwohin müssen sie ja. Gibs ja in jeder Stadt, arme und verwahrloste Menschen. Müssen halt wohin, dann wegsperren in die Wohnung und wegschauen. Hört ihr? Wir müssen nur wegschauen, wenns um diese Leute geht.

Und irgendwann machen wir die Lepzeberger wieder schön. Die hauen schon irgendwann wieder ab. Einfach Mieten erhöhen. Dann machen wir uns die Lepzeberger wieder richtig schön, zur Prachtstraße unserer Stadt, weil das bringt das richtige Geld. Nicht irgendwelche Menschen, die nicht nur verloren haben, sondern keine Menschen mehr sind.

Schlimm genug, dass wir so über diese Menschen denken. Und wir können nur so über sie denken, weil wir wohl behütet und abgeschottet von diesen leben. Sind wir nicht gleiche Halunken wie diese, eben nur auf andere Weise?

DagroLe 11.6.2018

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